Neben einer schriftlichen Vereinbarung (z.B. den Arbeitsvertrag, Nachträge zum Arbeitsvertrag, Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Tarifvertrag usw.) für den Anspruch auf bestimmte Leistungen gibt es für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber weitere, rechtlich bedeutsame Möglichkeiten:

Hierzu gehören sowohl Ansprüche aus dem Gesetz als auch Ansprüche aus betrieblicher Übung.

Anspruch auf Gleichbehandlung

Der bekannteste Anspruch ist derjenige aus dem AGG – besondere Bekanntheit erreicht diese Grundlage durch das grundsätzliche Verbot der Diskriminierung eines Geschlechts im Bewerbungsverfahren. Befolgt der Arbeitgeber dieses Gebot nicht, macht er sich schadensersatzpflichtig.

Anspruch aufgrund betrieblicher Übung

Der Anspruch aufgrund betrieblicher Übung taucht insbesondere im Zusammenhang mit dem Weihnachtsgeld oder dem Urlaubsgeld auf.

Voraussetzung eines Anspruches aufgrund betrieblicher Übung ist, dass der Arbeitgeber regelmäßig das gleiche Verhalten gezeigt hat, so dass der Arbeitnehmer darauf vertrauen durfte, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten auch in Zukunft zeigen wird.

Daraus folgt, dass alle Bestandteile des Arbeitsvertrags durch betriebliche Übung geregelt werden können.

Weihnachtsgeld aufgrund betrieblicher Übung

Im Falle des Weihnachtsgeldes wäre demnach Voraussetzung, dass der Arbeitgeber dieses mehrere Jahre in der gleichen Art und Weise (entweder gleiche Höhe oder gleiche Berechnungsweise) gezahlt hat, so dass der Arbeitnehmer sich darauf eingestellt hat. Als ausreichende Dauer der „freiwilligen“ Leistung hat die Rechtsprechung einen Zeitraum von drei Jahren angesehen, ab diesem Zeitpunkt wird aus der ehemals freiwilligen Leistung des Arbeitgebers ein Anspruch des Arbeitnehmers und eine Verpflichtung des Arbeitgebers. Auch bei Gewähr der Leistung in unterschiedlicher Höhe kann eine betriebliche Übung und damit ein Anspruch entstehen, BAG 13.05.2015, (10 AZR 266/14)

Betriebliche Altersversorgung und betriebliche Krankenversicherung aus betrieblicher Übung

In Betracht kommen aber auch andere Ansprüche, die teilweise sehr kostenintensiv sein können. Hier ist an die betriebliche Altersversorgung und die betriebliche Krankenversorgung zu denken.

Der Anspruch auf betriebliche Krankenversicherung kann beispielsweise dann besonders schwer wiegen, wenn der Arbeitgeber einen Versicherungsvertrag (Gruppenversicherungsvertrag) mit beschränkter Laufzeit abgeschlossen hat, seine Arbeitnehmer für diesen Zeitraum Leistungen aus der Krankenversicherung erhalten (=regelmäßige Leistung), ohne dass er diese zeitlich eingegrenzt hat, und der Versicherungsvertrag nach Ablauf der Laufzeit nicht verlängert wird. Erkrankt ein Arbeitnehmer nach Ablauf der Versicherungsperiode, hat dieser gleichwohl einen Anspruch auf die Leistungen aus der betrieblichen Krankenversicherung. Da die Versicherung den Anspruch mangels Gruppenversicherungsvertrag nicht erfüllen wird, besteht der Anspruch im Falle betrieblicher Übung gegen den Arbeitgeber. Hier kann es zu erheblichen Zahlungsansprüchen kommen.

Für die betriebliche Altersversorgung ist dieser Umstand sogar gesetzlich normiert, § 1b Abs. 1 S. 4  BetrAVG.

Umso wichtiger ist es sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer, die Umstände einer Leistung zu dokumentieren und transparent zu regeln.

Abänderung einer betrieblichen Übung

Eine einmal entstandene betriebliche Übung lässt sich nur einvernehmlich durch vertragliche Anpassung oder durch Änderungskündigung entfernen.

Bei ersterer ist der Arbeitgeber auf die Zustimmung des Arbeitnehmers angewiesen.

Bei letzterer muss der Arbeitgeber die Änderungskündigung gegenüber jedem Mitarbeiter, der einen Anspruch erworben hat und den der Arbeitgeber nicht mehr erfüllen möchte, aussprechen.

 

Taktik: Verhindern der betrieblichen Übung

Sinnvoller und weniger aufwändig ist es daher, das Entstehen eines Anspruchs aufgrund betrieblicher Übung bei freiwilligen Leistungen von vorne herein zu verhindern.  Hier gibt es zwei Möglichkeiten:

Keine Regelmäßigkeit

Dies kann der Arbeitgeber erreichen, indem er die Leistung nicht regelmäßig gewährt. Im Falle des Weihnachtsgeldes bedeutet dies also, dass keine drei Jahre oder länger in Folge Weihnachtsgeld gezahlt wird.

Für die betriebliche Krankenversicherung gibt es noch keine Rechtsprechung, die zur notwendigen Dauer Stellung bezieht. Orientiert man sich jedoch an der Rechtsprechung zum Weihnachtsgeld (3malige Leistung) ist bereits fraglich, ob eine betriebliche Übung durch unregelmäßige Leistung überhaupt verhindert werden kann.

Hinweis auf Freiwilligkeit

Der Arbeitgeber kann die betriebliche Übung auch verhindern, indem er stets auf die Freiwilligkeit der Leistung hinweist.

In beiden Fällen entsteht kein Vertrauensschutz auf Seiten des Arbeitnehmers, so dass dieser sich nicht auf die betriebliche Übung berufen kann.

Besser: Vertragliche Regelung zur Widerruflichkeit

Will der Arbeitgeber hingegen eine Leistung gewähren, jedoch den Umfang der Leistung auch in Zukunft anpassen können, empfiehlt es sich, dies ausdrücklich zu regeln.

Dies ist zum einen einzelvertraglich möglich. Hier muss der Arbeitgeber die Regelungen zur Gestaltung des Arbeitsvertrags, insbesondere die Rechtsprechung zu den Klauseln eines Arbeitsvertrags nach AGB-Recht berücksichtigen.

Weiter ist dies aber auch durch Zusagen gegenüber der gesamten Belegschaft möglich. In Betrieben ohne Betriebsrat erfolgt dies durch eine Gesamtzusage. Hier kann sowohl die Dauer der Leistung, als auch die Höhe und die zeitliche Wirksamkeit der Zusage geregelt werden.

Selbiges gilt bei Betrieben mit Betriebsräten. Hier erfolgt die Zusage in Abstimmung mit dem Betriebsrat, sie wird Betriebsvereinbarung genannt und kann insbesondere auch Regelungen zur Geltungsdauer der Zusage beinhalten.

 

Haben Sie Fragen zur betrieblichen Übung, zu einem Anspruch auf Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld oder zum Erhalt der Freiwilligkeit der Leistung? Wir beraten Sie gerne.

Der Geschäftsführer einer GmbH hat eine Doppelstellung: Einerseits vertritt er die Gesellschaft als Organ nach außen und andererseits ist er Angestellter bzw. Dienstnehmer der Gesellschaft und für die Führung im Inneren der Gesellschaft zuständig. Die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers erfolgt durch Beschluss der Gesellschafterversammlung, oder ggf. durch den Aufsichtsrat. Entsprechend verhält es sich in Bezug auf die Zuständigkeit für Abschluss und Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages (Annexkompetenz).

Gesellschafter-Geschäftsführer und Fremdgeschäftsführer

Zu unterscheiden ist zwischen Gesellschafter-Geschäftsführern und Fremdgeschäftsführern. Ein Fremdgeschäftsführer hält – im Gegensatz zum Gesellschafter-Geschäftsführer – keine Gesellschaftsanteile. Bei den Gesellschafter-Geschäftsführern ist in manchen Fällen noch zu differenzieren zwischen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern und Nicht-beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern.

Arbeitnehmereigenschaft

Geschäftsführer gelten grundsätzlich nicht als Arbeitnehmer. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 11.11.2010 (Az. C-232/09, Rechtssache Danosa) entschieden, dass Geschäftsführer wie Arbeitnehmer zu behandeln sind, wenn sie von der Gesellschaft persönlich abhängig sind, in die Betriebsabläufe eingegliedert sind und insbesondere in Bezug auf Ort und Zeit ihrer Arbeit weisungsgebunden sind.

ArbeitnehmerGeschäftsführer einer GmbH
RechtsstellungDienstnehmerDoppelstellung: Organ und Angestellter/Dienstnehmer (siehe oben)
Änderung des AnstellungsvertragesJederzeit formlos möglichErforderlich ist grds. ein Beschluss der Gesellschafterver-sammlung
Arbeitnehmer i.S.d. ArbeitsgerichtsgesetzesJa. Daher ist im Falle eines Rechtsstreits das Arbeitsgericht
zuständig.
Nein, § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG. Im Falle eines Rechtsstreits sind grds. die ordentlichen Gerichte zuständig.
Wurde der Geschäftsführer jedoch abberufen, bevor die Klage eingereicht wurde, ist das Arbeitsgericht zuständig (BAG, Beschluss v. 15. November 2013 - Az. 10 AZB 28/13).
Anwendung von § 613a BGB (Betriebsübergang)JaNein
Anwendung des KündigungsschutzgesetzesJaNein, § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG
Sonderkündigungsschutz gemäß MutterschutzgesetzJaNein
Sonderkündigungsschutz gemäß SGB IX (bei Schwerbehinderung)JaNein
Erforderlichkeit einer Abmahnung bei außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses Grundsätzlich jaNein
Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung Grundsätzlich jaGrundsätzlich nein
Arbeitnehmer i.S.d. BetriebsverfassungsgesetzesJaNein, § 5 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG
Arbeitnehmer i.S.d. BetriebsrentengesetzesJaJa, es sei denn, es handelt sich um einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer
Anwendung des ArbeitszeitgesetzesJaNein
Anspruch auf gesetzlichen MindesturlaubJaNein, aber gemäß § 7 IV BUrlG analog Anspruch auf Urlaubsabgeltung bei Vertragsende
Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach dem EntgeltfortzahlungsgesetzJaNein, aber Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 616 BGB, der allerdings vertraglich abdingbar ist
Anwendung des Teilzeit- und BefristungsgesetzesJaNein
Anspruch auf ElternzeitMöglichNein
Ansprüche aus betrieblicher Übung MöglichNur dann, wenn Geschäftsführer keine bzw. geringe Gesellschaftsanteile hält und die entsprechende Entscheidung von den Gesellschaftern getroffen wurde
Anspruch auf qualifiziertes Zeugnis bei Beendigung des AnstellungsverhältnissesJa, § 630 BGBJa, § 630 BGB (BGH, Urteil vom 9.11.1967 - II ZR 64/67)
Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)JaBei Gesellschafter-Geschäftsführern beschränkt gemäß § 6 Abs. 3 AGG, uneingeschränkt bei Fremdgeschäftsführern
Beschäftigter im sozialversicherungsrechtlichen SinneJaNur dann nicht, wenn Geschäftsführer Gesellschaftsanteile von mindestens 50% hält oder eine Sperrminorität vorliegt.

Haben Sie Fragen zum Recht des GmbH-Geschäftsführers? Wir stehen Ihnen gerne beratend zur Seite. Selbstverständlich können wir Sie auch außergerichtlich oder gerichtlich vertreten. Rufen Sie uns einfach an oder schreiben Sie uns eine E-Mail. Wir unterstützen Sie gerne.

 

Es gibt Marken, die sollte es eigentlich nicht geben. Sie sind eingetragen, obwohl man sie als rein beschreibend ansehen könnte. Rein beschreibenden Zeichen dürften jedoch eigentlich nicht im Markenregister auftauchen. Denn sie sind nicht eintragungsfähig (fehlende Unterscheidungskraft). Manchmal kommt es trotzdem vor, dass solche Marken den Weg in die Register finden. Dann kann es zu folgenden Situationen kommen:

Ein Markenanmelder hatte das Zeichen

easycredit 1

für die EU als Marke angemeldet. Der Inhaber einer bulgarischen Marke hatte dagegen Widerspruch eingelegt. Die Widerspruchsmarke sah wie folgt aus:

easycredit 2

Beide Marken benannten identische Dienstleistungen in den Klassen 36 und 38.

EUIPO: Wortbestandteil ist beschreibend, Bildbestandteile unterschiedlich

Das EUIPO entschied zunächst, dass eine Verwechslungsgefahr nicht bestehen würde. Denn beide Marken würden nur hinsichtlich ihres Wortbestandteils „Easy Credit“ übereinstimmen. Dieser Wortbestandteil sei aber glatt beschreibend für die Dienstleistungen der Klassen 36 und 38 (= einfacher Kredit). Daher könne dieser Bestandteil nicht der Grund für die Eintragung der Marken sein. Deshalb könnte er auch nicht bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sein. Die Bildbestandteile der Marken seien wiederum derart unterschiedlich, dass eine Verwechslung der Marken ausgeschlossen sei.

Beschwerdekammer sieht Verwechslungsgefahr: Wortbestandteile sind zu berücksichtigen

Damit gab sich die Widersprechende nicht zufrieden und legte Beschwerde ein. Und tatsächlich: Die Beschwerdekammer der EUIPO sah eine Verwechslungsgefahr für gegeben. Bei der Prüfung müssten auch die Wortbestandteile berücksichtigt werden.

EuG bestätigt Beschwerdekammer

Auch das EuG meint, dass eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken gegeben ist (EuG, TeamBank AG Nürnber/EUIPO, Urteil vom 20.07.2016, Az. T-745/14). Es stellt dabei auf die Wortbestandteile „Easy Credit“ ab. Diese müssten berücksichtigt werden, wenn man prüft, ob zwischen den Marken eine Verwechslungsgefahr besteht. Denn – so das EuG – auch beschreibende Bestandteile einer Marke (hier: Easy Credit) könnten kennzeichnungskräftig sein, wenn sie die gesamte Marke dominieren. Das müsse man hier annehmen. Denn die Bildelemente bei der bulgarischen Widerspruchsmarke hätten lediglich dekorativen, aber keinen kennzeichnenden Charakter. Sie alleine können also nicht zur Eintragung der Marken geführt haben, sondern die Wortelemente der Marke müssen zur Eintragung geführt haben. Das EuG wendet einen Kniff an, um der Widerspruchsmarke ein Mindestmaß an Unterscheidungskraft zuzugestehen: Das Gericht argumentiert, dass man bei der Widerspruchsmarke von einem Mindestmaß an Unterscheidungskraft ausgehen müsse, denn sonst wäre die Marke nicht in Bulgarien eingetragen worden.

Fazit

Grundsätzlich entfaltet eine Marke keinen Schutz für in ihr enthaltene schutzunfähige (z.B. beschreibende) Bestandteile. Anders kann es aber sein, wenn der schutzunfähige Bestandteil in der Marke eine prägende Stellung einnimmt und gerade er vom Verkehr als das die Marke dominierende Element angesehen wird. Dies ist auch die Auffassung des BGH (BGH, Beschluss vom 9.6.2015, Az. I ZB 16/14 – BSA/DAS).

Über den vom EuG angewandten „Kniff“ wird der EuGH in diesem Verfahren nicht mehr entscheiden. Das vom Markenanmelder eingelegte Rechtsmittel wurde wieder zurückgenommen. Die Parteien haben sich geeinigt (EuGH, Entscheidung vom 30.11.2016, Az. C-495-16).

Für Markenanmelder bedeutet dies große Vorsicht bei der Anmeldung und Nutzung von Marken, die womöglich beschreibende Bestandteile enthalten. Auch diese können gegen ältere Markenrechte verstoßen. Eine sorgfältige Recherche ist notwendig, bevor die Marke angemeldet oder genutzt wird.

Befindet man sich bereits im Konflikt mit einer solchen Marke, sollte sorgfältig überlegt werden, ob ein Löschungsverfahren sinnvoll ist.

Setzen Sie sich gerne mit uns für eine Beratung in Verbindung!

Rechtsanwalt Markenrecht Hamburg: 040 – 37 15 77

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 08.12.2016 (Az. IX ZR 257/15) entschieden, dass eine Gruppen-Unterstützungskasse nach Beendigung der Mitgliedschaft des Trägerunternehmens dann kein noch vorhandenes, für das Trägerunternehmen gebildetes Kassenvermögen zurückzahlen muss, wenn gemäß ihrer Satzung eine Rückforderung ausgeschlossen ist.

Dem Urteil des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Pensionszusage über Unterstützungskasse

Die R-GmbH hatte ihrem damaligen Geschäftsführer und alleinigen Gesellschafter („beherrschender GGF“) im Jahr 1998 eine Pensionszusage über eine Gruppen-Unterstützungskasse erteilt. Im Leistungsplan war eine lebenslange Altersrente in Höhe von monatlich 3.455,- Euro und eine Witwenrente in Höhe von monatlich 1.847,01 Euro bestimmt. Zur Finanzierung der Leistungen schloss die Unterstützungskasse eine Rückdeckungsversicherung bei einem Lebensversicherungsunternehmen ab.

Satzung der Unterstützungskasse

In der Satzung der in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins geführten Unterstützungskasse war bestimmt, dass es sich bei dem Verein um eine soziale Einrichtung von Arbeitgebern handelt, welche ihre betriebliche Altersversorgung über eine Gruppen-Unterstützungskasse durchführen wollen. Ausschließlicher und unabänderlicher Vereinszweck war gemäß der Satzung die Gewährung von Versorgungsleistungen an Zugehörige bzw. ehemals Zugehörige der Trägerunternehmen bzw. deren Angehörige. Darüber hinaus war in der Satzung der Unterstützungskasse folgende Regelung bestimmt:

„Die Trägerunternehmen verzichten grundsätzlich auf jegliche Rückforderung des für sie jeweils gebildeten Kassenvermögens (auch aufgrund eines etwaigen gesetzlichen Rückforderungsanspruchs) […] Dies gilt auch für den Fall, dass die Mitgliedschaft eines Trägerunternehmens […] erlischt. Der Verzicht bezieht sich allerdings nicht auf etwaige Ansprüche von Trägerunternehmen, die darauf gerichtet sind, dass der Verein ihm zugewendete Mittel unter Beachtung des satzungsgemäßen Verwendungszwecks einem anderen Versorgungsträger zur Verfügung stellt, damit dieser die Versorgung fortführt. […] Unabhängig davon kann das Trägerunternehmen Zuwendungen, die infolge eines Irrtums geleistet worden sind, zurückfordern.“

Die R-GmbH hatte Dotierungszahlungen in Höhe von insgesamt 866.165,82 Euro an die Unterstützungskasse geleistet. Seit Oktober 2008 bezog der versorgungsberechtigte Geschäftsführer von der Unterstützungskasse eine lebenslange Altersrente. Seit seinem Tod im Dezember 2011 leistete die Unterstützungskasse eine lebenslange Witwenrente an die Ehefrau des Geschäftsführers. Am 15.07.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der R-GmbH eröffnet. Der Insolvenzverwalter beantragte in einer Stufenklage, Auskunft über die bereits erbrachten Versorgungsleistungen und das verbliebene Guthaben zu erteilen und an ihn eine noch zu beziffernde Summe entsprechend der erteilten Auskunft zu zahlen. Hilfsweise verlangte der Insolvenzverwalter im Wege der Schenkungsanfechtung die Rückzahlung von 703.401,62 Euro, welche er aus der Differenz zwischen Dotierungszahlungen und bereits erbrachter Versorgungsleistungen errechnet hatte.

Anspruchsgrundlage § 667 BGB

Der BGH hat angenommen, dass es sich bei dem Rechtsverhältnis zwischen der R-GmbH und der Unterstützungskasse um einen Geschäftsbesorgungsvertrag handelt. Gemäß § 667 Fall 2 BGB ist der Auftragnehmer, also hier die Unterstützungskasse, verpflichtet, dem Auftraggeber alles herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt. Allerdings kann von dieser gesetzlichen Bestimmung durch Vereinbarung der Parteien abgewichen werden. Fraglich war folglich im vorliegenden Fall, ob der in der Satzung der Unterstützungskasse bestimmte Rückforderungsausschluss wirksam war.

Diese Frage hat der BGH in seinem Urteil vom 08.12.2016 bejaht. Einerseits halte die Klausel über den Rückforderungsausschluss einer Inhaltskontrolle nach §§ 242, 315 BGB stand. Andererseits verstoße sie nicht gegen § 119 InsO.

Inhaltskontrolle gemäß §§ 242, 315 BGB

Satzungen von Vereinen unterliegen nicht der AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB, sondern lediglich einer richterlichen Inhaltskontrolle gemäß §§ 242, 315 BGB. Einer solchen Inhaltskontrolle hält die Bestimmung über den Rückforderungsausschluss in der Satzung der Unterstützungskasse nach Auffassung des BGH stand. Entscheidend sei, dass der satzungsgemäße Vereinszweck ausschließlich und unabänderlich darin liegt, Versorgungsleistungen für Beschäftigte der Trägerunternehmen zu erbringen. Mit dem Ausschluss eines Rückforderungsanspruchs soll zulässigerweise die Gewährung von Versorgungsleistungen sichergestellt werden. Dadurch, dass in der streitgegenständlichen Klausel Ansprüche auf Übertragung des gebildeten Kassenvermögens auf andere Versorgungseinrichtungen sowie die Rückforderung von Zuwendungen, die aufgrund eines Irrtums geleistet worden sind, ausdrücklich ausgenommen sind, werde den Interessen der Trägerunternehmen hinreichend Rechnung getragen, entschied der BGH.

Keine Unwirksamkeit gemäß § 119 InsO

Die Bestimmung über den Ausschluss von Rückforderungsansprüchen verstößt auch nicht gegen § 119 InsO. Gemäß § 119 InsO sind Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 – 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam. Gemäß § 115 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 116 S. 1 InsO erlischt ein Geschäftsbesorgungsvertrag durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sofern sich der Geschäftsbesorgungsvertrag auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht. Diese Regelung hindert zum einen den Auftragnehmer daran, weiter zu Lasten der Insolvenzmasse über Vermögen verfügen zu können, das zur Masse gehört oder an die Masse herauszugeben ist. Zum anderen schließt sie weitergehende Ansprüche des Auftragnehmers auf Aufwendungsersatz und Vergütung aus. Ziel der §§ 115 Abs. 1, 116 S. 1 InsO ist es sicherzustellen, dass die Verwaltung der Masse vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung allein in den Händen des Insolvenzverwalters liegt. Im Übrigen führt sie lediglich dazu, dass der Insolvenzverwalter nach der Beendigung des Geschäftsbesorgungsvertrags die entstandenen Ansprüche nach den allgemeinen Regelungen geltend machen kann. Er kann daher von dem Auftragnehmer im Rahmen der Vertragsabwicklung die Herausgabe des aus der Geschäftsführung erlangten nach §§ 667, 675 BGB verlangen. Auf der anderen Seite muss der Insolvenzverwalter alles, was der Auftragnehmer bis zum Erlöschen des Geschäftsbesorgungsvertrages getan hat, für und gegen die Masse gelten lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschäftsbesorgungsvertrag bereits vor Insolvenzeröffnung erfüllt wurde. Die §§ 115, 116 InsO erweitern damit nicht die dem Auftraggeber nach der Beendigung eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses zustehenden materiell-rechtlichen Ansprüche. Soweit materiell-rechtlich keine Herausgabeansprüche bestehen, begründet die Insolvenzeröffnung keine solchen Ansprüche. Im vom BGH entschiedenen Fall hatten die Parteien den Ausschluss von Herausgabeansprüchen weder mit einer Insolvenzeröffnung noch mit einem Eröffnungsgrund verknüpft, sondern die Rückforderung allgemein ausgeschlossen. Es sei nicht so, dass durch die Insolvenzeröffnung ein vorher nicht bestehender Herausgabeanspruch begründet würde, erklärte der BGH in seiner Entscheidung. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter einen Vertrag im Allgemeinen in der Lage übernehmen, in der er ihn bei Eröffnung des Verfahrens vorfindet. Dies gilt auch für ein beendetes Geschäftsbesorgungsverhältnis.

Fazit

Das Urteil des Bundesgerichtshofs führt bei den Unterstützungskassen zu Rechtssicherheit. Soweit noch nicht erfolgt, ist Unterstützungskassen dringend anzuraten, eine Bestimmung zum Rückforderungsausschluss in ihre Satzung aufzunehmen. Haben Sie Fragen zur Versorgung über eine Unterstützungskasse oder zu anderen Bereichen der betrieblichen Altersversorgung? Rufen Sie uns einfach an oder schreiben Sie uns eine E-Mail.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg, Lüneburg

In unserer Lüneburger Kanzlei berät Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt seit 2007 Mandanten aus Lüneburg und Umgebung im Urheberrecht. In der Beratung geht es häufig um die folgenden Themen:

Rechtsanwalt für Urheberrecht

Rechtsanwalt für Urheberrecht

  •  Urheberrecht: Die Gestaltung oder Prüfung von Verträgen, z.B. zwischen Künstlern und Verwertern, Produktionsverträge oder Autorenverträge.
  • Fotorecht: Wir beraten verschiedene Fotografen aus Lüneburg und Umgebung. Dabei geht es um die unberechtigte Nutzung von Fotos, um die Ausgestaltung von Verträgen, um ausstehende Honorare oder auch um die Frage, was der Fotograf ablichten darf.
  • Filesharing: Wir verteidigen unsere Mandanten, wenn diese eine Abmahnung erhalten haben.
  • Grafiker und Designer aus Lüneburg kommen auf uns zu, wenn ihre Logos, Gestaltungen oder Werke kopiert oder außerhalb der vertraglichen Vereinbarung genutzt werden. Auch die Erstellung von Verträgen für Grafiker und Designer gehört zu unserer anwaltlichen Beratung.
  • Designschutz: Für Designs kommt nicht nur der Schutz des Urheberrechts in Betracht. Auch die Anmeldung eines eingetragenen Designrechts (Geschmacksmuster) kann sinnvoll sein. Hierzu beraten wir unsere Lüneburger Mandanten und melden Designs (Geschmacksmuster) für sie an.
  • Model Release: Anwaltlicher Rat ist auch bei Verträgen mit Models für Fotoshootings gefragt.
  • Künstlerrecht: Bei der Verwertung von Werken führen wir Verhandlungen mit den Verwertern und erstellen Verträge. Auch gegen nicht gestattete Nutzungen gehen wir vor.

Beratung und gerichtliche Vertretung

Da nicht alle Fälle mit einer außergerichtlichen Beratung erledigt werden können, vertritt Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt seine Mandantin auch gerichtlich. In den meisten Fällen ist jedoch kein Gericht in Lüneburg zuständig. Denn für das Urheberrecht gilt eine Sonderzuständigkeit in Niedersachsen. Danach sind die Gerichte in Hannover für Urheberrechtssachen zuständig. Für seine Lüneburger Mandanten nimmt Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt daher regelmäßig Termine vor dem Landgericht und dem Amtsgericht Hannover wahr.

Beratung durch Fachanwalt

Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, zu dem auch dessen urheberrechtliche Bezüge gehören. Seit 2005 ist er Rechtsanwalt und in den Bereichen des Urheberrechts, Markenrechts, Designrechts und Wettbewerbsrechts tätig. Zusammen mit seinen Mitarbeitern bildet er ein professionelles und kompetentes Team.

Rechtsanwalt in Lüneburg

Rechtsanwalt in LüneburgUnsere Kanzlei in Lüneburg liegt zwischen Marktplatz und Stint- markt in einem ruhigen Hinterhaus der Lüner Str. 4 (gegenüber der Nicolaikirche). Kommen Sie uns gerne besuchen! In vielen Fällen fährt Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt aber auch zu seinen Mandanten, denn bei Ihnen ist man dem Fall am nächsten.

Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt und sein Team freuen sich darauf, auch für Sie tätig zu sein.

Rufen Sie einfach an unter: 04131 – 22 14 911

Oder schreiben Sie eine Email: heldt@heldt-zuelch.de

 

Urheber: Bild 1:  nmann77 @ fotolia, Bild 2: alfotokunst @ fotolia

Wird eine fremde Marke in einer Markenanmeldung verwendet, so birgt dies erhebliche Risiken. Der Inhaber des älteren Zeichens hat in vielen Fällen die Möglichkeit, erfolgreich gegen das jüngere Markenrecht vorzugehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Zeichen der älteren Marke die jüngere Marke prägt. Das zeigt auch die folgende Entscheidung des Bundespatentgerichts (BPatG, Beschluss vom 1.6.2016 – 29 W (pat) 64/14).

Wortmarke „Inselkind“ vs Wort-Bildmarke „Insel Usedom Inselkind USEDOM“

Der Inhaber der Wortmarke „Inselkind“ hatte aufgrund seiner Marke Widerspruch gegen die Wort-/Bildmarke

inselkind

eingelegt. Beide Marken waren eingetragen für Waren der Klassen 16, 24 und 26.

Die Widerspruchsentscheidung des DPMA

Die Widerspruchsabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) hatte es abgelehnt, eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken anzunehmen und den Widerspruch zurückgewiesen. Das Amt verneinte eine Ähnlichkeit zwischen den Markenrechten. Es war der Auffassung, dass der Bestandteil „Inselkind“ die jüngere Wort-Bildmarke nicht prägen würde. Bei der Aussprache der Marken würden sich die Wörter „Insel Usedom Inselkind Usedom“ auf der einen und das Wort „Inselkind“ auf der anderen Seite gegenüberstehen und vom Verkehr unterschieden werden können. Der Bestandteil „Inselkind“ in der neu angemeldeten Marke würde diese nicht prägen, denn die einzelnen Bestandteile der Marke seien unmittelbar aufeinander bezogen. Auch in bildlicher Hinsicht würde eine Ähnlichkeit ausscheiden. Das Wort „Inselkind“ würde bei der angegriffenen Marke nicht selbständig kennzeichnend sein, da es sich in die Grafik einschmiege.

Die Entscheidung des Bundespatentgerichts

Diese Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes griff die Widersprechende mit der Beschwerde zum Bundespatentgericht an. Das Gericht kommt in dem Widerspruchsverfahren zu einem anderen Ergebnis als das Deutsche Patent- und Markenamt. Es gibt dem Widerspruch statt. Das Gericht begründet seine Entscheidung wie folgt:

  • Das Wort „Inselkind“ prägt die jüngere Wort-Bildmarke. Die weiteren Worte („Usedom“ und „Insel Usedom“) verbinden sich mit dem Wort „Inselkind“ nicht zu einer Gesamtaussage. Wenn man die jüngere Marke benennen will, dann würde man von „Inselkind“ sprechen.
  • Alle weiteren Bestandteile der jüngeren Marke sind lediglich beschreibende Angaben, die einen geographischen Hinweis geben und daher nicht schutzfähig sind. Sie tragen zum Gesamteindruck der Marke nicht bei.
  • Aus diesen Gründen stehen sich identische Zeichen gegenüber: Inselkind ./. Inselkind.

Das Bundespatentgericht weist darauf hin, dass eine andere Beurteilung nur dann in Betracht kommt, wenn die betroffenen Waren regelmäßig nur auf Sicht gekauft werden. Denn nur dann können Unterschiede im Bild eine Identität oder Ähnlichkeit im Klang neutralisieren.

Fazit

  1. Beschreibende Angaben in einem zusammengesetzten Zeichen bleiben bei der Kollisionsprüfung außen vor, weil sie vom Verkehr regelmäßig nicht als prägend angesehen werden. Beinhaltet ein solches Zeichen eine nicht beschreibende Angabe, so ist damit zu rechnen, dass dieses für die mündliche Wiedergabe der Marke verwendet wird (hier: Inselkind). Dieser Bestandteil ist der Prüfung der Verwechslungsgefahr mit anderen Marken zu Grunde zu legen.
  1. Die Entscheidung zeigt, dass man vorsichtig damit sein sollte, ältere Marken in einer neuen Markenanmeldung wiederzugeben. Das gilt jedenfalls dann, wenn keine weiteren Merkmale vorhanden sind, die die Marke prägen. In diesem Fall dürfte die Gefahr sehr groß sein, dass der Inhaber der älteren Marke die Eintragung und Nutzung der jüngeren Marke untersagen lassen kann. Selbstverständlich kann diese Entscheidung nicht auf jede andere Konstellation übertragen werden, denn auch weitere Gesichtspunkte, wie z. B. die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, spielen bei der Frage der Verwechslungsgefahr eine große Rolle. Aus diesem Grund ist jeder Fall einer individuellen Prüfung zu unterziehen. Die Entscheidung des Bundespatentgerichts macht aber erneut deutlich, wie wichtig die sorgfältige Vorbereitung einer Markenanmeldung ist.

Rechtsanwalt für Markenrecht in Hamburg und Lüneburg

Rechtsanwalt Dr. Heiner Heldt berät Sie in Fragen zum Markenrecht. Wir sind bundesweit tätig. In unseren Kanzleien in Hamburg und Lüneburg freuen wir uns auf Ihren Besuch.

Wenn ein Wettbewerbsverstoß begangen wurde, kann die Gefahr, dass dieser wiederholt wird, nur dadurch ausgeräumt werden, dass eine Unterlassungserklärung abgegeben wird, die strafbewehrt ist. Bei einem Verstoß gegen diese Unterlassungserklärung muss dann die versprochene Vertragsstrafe gezahlt werden. Aus dem Text der strafbewehrten Unterlassungserklärung ergibt sich, wie hoch die Vertragsstrafe ist.

Formulierungen für die Vertragsstrafe

Es kann eine bestimmte, feste Summe aufgenommen werden oder eine Formulierung, nach der die Vertragsstrafe „angemessen“ in ihrer Höhe sein soll. Häufig wird die letztere Formulierung gewählt. Es heißt dann in der Erklärung z.B., dass für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung eine angemessene Vertragsstrafe gezahlt werden soll, deren Höhe in das Ermessen des Abmahnenden gestellt wird und welche dann auf Antrag des Abgemahnten vom Gericht auf Angemessenheit überprüft werden kann (Neuer Hamburger Brauch).

Faktoren, die die Höhe der Vertragsstrafe beeinflussen

Diese Formulierung wird im Regelfall verwendet, um die Höhe der Vertragsstrafe dem Einzelfall anpassen zu können. Liegen Gesichtspunkte vor, die eine Reduzierung der Vertragsstrafe rechtfertigen, so können diese genauso berücksichtigt werden, wie Faktoren, die eine Erhöhung der Vertragsstrafe bedingen. Hat der Verletzer z.B. lediglich fahrlässig gehandelt, kann dies zu einer Verringerung der Vertragsstrafe führen, während absichtliches Handeln die Vertragsstrafe erhöhen dürfte. Dies macht deutlich, dass es nicht in jedem Fall sinnvoll ist, die variable Vertragsstrafenformulierung in die Unterlassungserklärung aufzunehmen.

Gericht prüft nur, ob Höhe der Vertragsstrafe im Ermessensspielraum liegt

Die Ansicht, dass eine Vereinbarung mit variabler Vertragsstrafe im Vergleich zu einer fest vereinbarten Höhe der Strafe die bessere Wahl ist, ist weit verbreitet. Dabei wird jedoch das Risiko in Bezug auf den Ermessensspielraum des Gläubigers und die damit verbundene Überprüfung durch ein Gericht falsch eingeschätzt. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Ermessensspielraum bei der Bemessung der Vertragsstrafenhöhe eingehalten wurde. Es stellt sich die Frage, ob die angesetzte Vertragsstrafe noch der Billigkeit entspricht.

Dazu das Landgericht Frankfurt a.M.:

So entschied das Landgericht Frankfurt am Main in einer aktuellen Entscheidung:

Bei der Festlegung der Strafhöhe steht dem Bestimmungsberechtigten ein Ermessensspielraum zu. Es gibt nicht nur ein „richtiges“ Ergebnis. Die Bestimmung ist erst dann durch gerichtliches Urteil zu ersetzen, wenn die – mit dem Hinweis auf die Billigkeit – durch § 315 Abs. 3 BGB gezogene Grenze überschritten ist, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (vgl. BGH (U.v. 19.05.2005 – I ZR 299/02) – PRO-Verfahren, juris, Rn.44; BGH (U.v. 24.06.1991 – II ZR 268/90), juris, Rn. 7, OLG Karlsruhe (U.v. 18.12.2015 – 4 U 191/14), juris, Rn. 35; jeweils m.w.N.). Das Gericht darf seine Ermessensentscheidung daher nicht an die Stelle der Ermessensentscheidung des Bestimmungsberechtigten setzen. Es hat seine Prüfung darauf zu beschränken, ob und wenn ja, inwiefern die getroffene Bestimmung unbillig ist (vgl. auch OLG Karlsruhe (U.v. 18.12.2015-4 U 191/14).“

Das Risiko einer variablen Vertragsstrafe

Hieraus wird deutlich, dass der Abmahnende einen Spielraum bei der Vertragsstrafenhöhe hat. Es ist nicht eine bestimmte Summe angemessen, sondern ein Betrag in einem Bereich von Summe X bis Summe Y. Und in diesem Bereich muss der Abmahnende eine Summe bestimmen. Dies kann dazu führen, dass die vom Abmahnenden bestimmte Summe höher ist als eine bereits bei Abgabe der Unterlassungserklärung fest in die Vertragsstrafenerklärung aufgenommene Summe. Trotzdem kann sie sich immer noch im angemessenen Bereich der Vertragsstrafenhöhe befinden. Erst, wenn das Gericht feststellt, dass die bestimmte Summe die Grenze der Billigkeit überschreitet, kann das Gericht eine andere Summe (nämlich die angemessene) festlegen.

Fazit

Es kann durchaus vorkommen, dass die nach dem Neuen Hamburger Brauch festgelegte Vertragsstrafe höher ist als eine feste Summe, die in der Unterlassungserklärung als Vertragsstrafe genannt ist. Diese Möglichkeit sollte bereits bei der Formulierung der strafbewehrten Unterlassungserklärung berücksichtigt werden. Ist bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar, dass ein Verstoß gegen die strafbewehrte Unterlassungserklärung wahrscheinlich ist, sollte genau überlegt werden, ob es mehr Sinn macht, eine feste Summe in die Vertragsstrafenerklärung aufzunehmen.

In Einzelfällen kann eine fest vereinbarte Vertragsstrafe also durchaus die bessere Alternative zur variablen Formulierung des Neuen Hamburger Brauches sein. Da es stets auf den Einzelfall ankommt und sowohl die Abgabe als auch die Annahme von strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen mit Risiken verbunden sein kann, empfehlen wir eine anwaltliche Beratung bei der Erstellung der strafbewehrten Unterlassungserklärung.

Denn bei einem Verstoß gegen die Unterlassungserklärung ist zu berücksichtigen, dass der Abmahnende nicht nur aus der Unterlassungserklärung vorgehen kann, sondern auch aus den gesetzlichen Ansprüchen.

Landgericht Frankfurt am Main, Urt. v. 10.02.2016, Az.: 2-06 O 344/15

 

In Wettbewerbssachen ist die Abgabe von strafbewehrten Unterlassungserklärungen ein üblicher und häufiger Weg, um Unterlassungsansprüche auszuräumen. Verstößt der Schuldner nach der Abgabe der Unterlassungserklärung gegen diese, verwirkt er die Vertragsstrafe, die er in der strafbewehrten Unterlassungserklärung versprochen hat. Häufig kommt es jedoch zu einem Streit zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner über die Fragen, ob überhaupt ein Verstoß gegen die Unterlassungserklärung vorliegt und wie hoch die verwirkte Vertragsstrafe ist. Dann stellt sich die Frage, vor welchem Gericht die Vertragsstrafe eingeklagt werden kann.
Das Landgericht Frankfurt (Urteil vom 10.02.2016, Az.: 2-06 O 344/15) hat sich in einer aktuellen Entscheidung für die Anwendbarkeit des sogenannten „fliegenden Gerichtsstands“ bei der Durchsetzung von Vertragsstrafeansprüchen ausgesprochen, wenn die Unterlassungserklärung aufgrund eines UWG-Verstoßes abgegeben wurde.

Sachverhalt

Die Klägerin war Inhaberin von exklusiven Vertriebsrechten für Produkte zweier Marken. Die Beklagte, eine Versandhändlerin mit Sitz in München, betrieb einen Onlineshop, in dem sie unter anderem auch Produkte der besagten Marken anbot. Diese Produkte bewarb sie, indem sie sie im Rahmen von Sonderaktionen mit einem durchgestrichenen, angeblich unverbindlichen Verkaufspreis („UVP“), kennzeichnete und ihrem vermeintlich günstigeren Kaufpreis gegenüberstellte. Dieser UVP entsprach jedoch nicht der Realität und war lediglich ein willkürlich von der Beklagten festgelegter Wert. Er überstieg den von der Herstellerin empfohlenen Verkaufspreis erheblich. Die Beklagte wurde von der Klägerin abgemahnt und gab daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab.
In der Folgezeit verstieß die Beklagte gegen diese Erklärung und wurde von der Klägerin erneut abgemahnt. Sie gab weitere Unterlassungserklärungen ab und verstieß auch gegen diese. Vor dem LG Frankfurt versuchte die Klägerin die bestehenden Vertragsstrafeansprüche klageweise durchsetzen.

Frage der örtlichen Zuständigkeit

Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen und beanstandete die örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Sie argumentierte, die Klage sei am Sitz der Beklagten, also in München, einzureichen, weil die Beklagte dort nach den Vorschriften der ZPO ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Daher sei die Klage unzulässig.
Die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist in der Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten, wenn es um Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe geht, die aus einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung resultieren. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang offen gelassen.

Überwiegende Ansicht: Wohnort/Sitz des Schuldners ist entscheidend

Die überwiegende Ansicht geht bisher davon aus, dass es bei der örtlichen Zuständigkeit auf den Wohnort/Sitz des Schuldners ankommt. Diese Annahme wird damit begründet, dass eine Vertragsstrafenforderung nicht auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), sondern aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung geltend gemacht werde. Diese vertragliche Vereinbarung sei an die Stelle des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs getreten (abstraktes Schuldanerkenntnis/-versprechen). Darüber hinaus gehe es nicht um die Feststellung eines UWG-Verstoßes, sondern um allgemeine Fragen des Vertragsrechts, insbesondere die Auslegung der Vereinbarung.

LG Frankfurt: Fliegender Gerichtsstand

Das Landgericht Frankfurt erklärte sich in diesem Fall für örtlich zuständig und die Klage damit für zulässig. Es sieht die Zuständigkeitsvorschriften des UWG für anwendbar, die den allgemeinen Vorschriften der ZPO vorgehen.
Nach Ansicht des Gerichts sei eine Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe, die auf einem Verstoß gegen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung beruht, eine Klage „auf Grund dieses Gesetzes“ im Sinne von §§ 13 und 14 UWG, wenn die Unterlassungserklärung wegen eines Verstoßes gegen das UWG abgegeben wurde. Diese Vorschriften seien demnach anwendbar. Danach sind zum einen die Landgerichte, unabhängig von der Streitwerthöhe, zuständig. Zum anderen kann für die Frage der Zuständigkeit auf die Orte abgestellt werden, an denen die Verletzungshandlung begangen wurde oder an denen der Verletzungserfolg eingetreten ist. Da die Beklagte die Verstöße über das Internet begangen hat, ist der Verletzungserfolg im Prinzip überall in Deutschland eingetreten. Daher bestehe auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 UWG und der damit verbundenen Wahlmöglichkeit der Klägerin auch für den Gerichtsbezirk Frankfurt a.M. eine örtliche Zuständigkeit.

Fazit

Die Entscheidung des Gerichts, den fliegenden Gerichtsstand in Fällen wie dem vorliegenden zu bejahen, ist durchaus nachvollziehbar und unserer Ansicht nach sinnvoll. So werden einerseits kleinere, im Wettbewerbsrecht unerfahrene Amtsgerichte entlastet und andererseits die Fälle tendenziell von Richtern entschieden, die in diesem Rechtsbereich mehr Kompetenz und Erfahrung vorweisen können. Trotz dieser Entscheidung bleibt die Rechtslage aber weiterhin unsicher und nicht einheitlich geklärt. Gläubiger eines Vertragsstrafeversprechens sollten sich also genau überlegen, vor welchem Gericht sie gegebenenfalls bestehende Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe durchsetzen möchten (und auch können).
Landgericht Frankfurt am Main, Urt. v. 10.02.2016, Az.: 2-06 O 344/15

Treten in einer Stadt wie Lüneburg zwei Wettbewerber unter dem gleichen Namen auf, dann ist eine Auseinandersetzung voraussehbar. Dies blieb auch einem Mandanten von uns nicht erspart. Er konnte sich jedoch nun gegen seine Mitbewerberin durchsetzen. Sowohl das erstinstanzliche Landgericht Braunschweig als auch das Berufungsgericht (OLG Braunschweig) sprachen unserem Mandanten das alleinige Recht zu, unter der umstrittenen Bezeichnung aufzutreten.

Hintergrund

Unser Mandant verwendet bereits seit 2009 einen Namen, um seinen Dienstleistungsbetrieb zu kennzeichnen. Dies hielt eine Mitbewerberin aber nicht davon ab, in 2010 gleichlautende bzw. ähnliche Marken zu registrieren und auch zu benutzen. Im Jahr 2011 trat unser Mandant als Gesellschafter einer Gesellschaft bei, in der sich mehrere Dienstleister zusammengeschlossen hatten. Auch diese Gesellschaft nutzte ab 2012 mit der Zustimmung unseres Mandanten seinen Unternehmensnamen.

Abmahnung gegenüber unserem Mandanten und seiner Gesellschaft

Es folgte eine markenrechtliche Abmahnung durch die Konkurrentin. Sie stützte sich auf ihre beiden eingetragenen Marken und forderte von unserem Mandanten und der Gesellschaft, die Nutzung des eigenen Namens einzustellen. Außerdem machte sie Ansprüche auf Auskunftserteilung, Zahlung von Schadensersatz und Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten geltend.

Unterlassungsklage zum LG Braunschweig

Nachdem weder unser Mandant noch die Gesellschaft der Aufforderung nicht Folge leistete, reichte die Mitbewerberin eine Unterlassungsklage zum Landgericht Braunschweig ein. Die Unterlassungsklage richtete sich sowohl gegen unseren Mandanten als auch gegen die Gesellschaft, die wir fortan ebenfalls vertraten. Für den Bereich Lüneburg ist das Landgericht Braunschweig erstinstanzlich für alle markenrechtlichen Streitigkeiten zuständig. In dem Verfahren ging es im Wesentlichen um die Frage, wer das ältere Recht an dem Kennzeichen (Namen) besitzt. Denn der Inhaber des älteren Rechts kann von dem Inhaber des jüngeren Rechts verlangen, dass er die Nutzung unterlässt (Grundsatz der Priorität).

Marke vs Unternehmenskennzeichen

Die Wettbewerberin stützte ihre Ansprüche auf die beiden Marken, während wir für unseren Mandanten die Auffassung vertraten, dass ihm ein Unternehmenskennzeichen zustand, das älter als die Marken ist.

Nachweis für Unternehmenskennzeichen erforderlich

In tatsächlicher Hinsicht war es daher für uns erforderlich, die durchgängige Nutzung der Bezeichnung durch unseren Mandanten seit 2009 zu beweisen. Nur so kann unserem Mandanten ein Unternehmenskennzeichenrecht nach § 5 MarkenG im Jahr 2009 entstanden sein, das auch 2016 noch gilt. Durch die Vorlage einer Vielzahl von Unterlagen sowie die Anhörung mehrerer Zeugen gelang es uns, diesen Nachweis zu führen. Im Rahmen der Beweisführung war es mehrfach erforderlich, auf Einwendungen der Klägerin gegen die vorgelegten Beweismittel und die benannten Zeugen zu reagieren. Immer wieder hielt die Klägerin unsere Beweise für ungeeignet. Die enge Abstimmung mit unseren Mandanten und deren hilfreiche Suche nach Fotos, Anschreiben und weiteren Beweismitteln machte es möglich, die Nutzung des Zeichens für das Gericht nachvollziehbar herauszuarbeiten.

Zeichenrecht auf Gesellschaft übergegangen?

Durch diesen Nachweis entstand für unseren Mandanten ein prioritätsälteres Unternehmenskennzeichenrecht, das sich gegen die von der Klägerin vorgetragenen Marken durchsetzte. Fraglich war auch, ob sich auch die Gesellschaft, die den Namen unseres Mandanten verwendete, auf das im Jahr 2009 entstandene Unternehmenskennzeichenrecht berufen konnte. Hierzu urteilte das Landgericht Braunschweig:

„Der Schutz eines Geschäftskennzeichens kann zwar weder vom Geschäftsbetrieb isoliert und übertragen werden (Ingerl/Rohnke, a.a.O., § 5 Rn. 72) noch rezensiert werden im Sinne von § 30 Markengesetz (Ingerl/Rohnke, a.a.O., § 30 Rn. 9). Es ist aber möglich, dass der Inhaber einer geschäftlichen Bezeichnung einem anderen deren Benutzung schuldrechtlich gestattet (BGH, Urteil vom 18.3.1993, – I ZR 178/91, GRUR, 1993, 574 „Decker“). Folge ist, dass derjenige, dem die Benutzung vom Berechtigten gestattet worden ist, einem Dritten bei Inanspruchnahme die ältere Priorität des gestattenden Berechtigten entsprechend § 986 BGB entgegenhalten kann (BGH, a.a.O., Seite 576; s. auch BGH, Urteil vom 28.02.2002, – I ZR 177/99 -, GRUR 2002, 967, 970 „Adlon“).“

Das Landgericht Braunschweig wies daher die Klage gegen unsere Mandanten ab.

Widerklage: Konkurrentin hat die Nutzung des Zeichens zu unterlassen

Um sicherzustellen, dass die Wettbewerberin unseres Mandanten nicht mehr unter dem gleichen Namen auftritt, haben wir für unseren Mandanten eine Widerklage eingereicht. Darin haben wir von der Gegenseite verlangt, dass diese es unterlässt, unter dem Namen unseres Mandanten aufzutreten. Folgerichtig musste das Gericht diesem Antrag stattgegeben. Denn wenn unserem Mandanten das ältere Recht an dem Namen zusteht, dann folgt daraus auch ein entsprechender Unterlassungsanspruch.

Berufung: Rücknahme nach Hinweisbeschluss

Die Wettbewerberin unseres Mandanten entschied sich, das Urteil in der Berufung überprüfen zu lassen. Das Oberlandesgericht Braunschweig wies jedoch bereits in einem Beschluss darauf hin, dass es die Berufung für aussichtslos erachte und regte an, die Berufung zurückzunehmen. Dieser Anregung folgte die Klägerin, sodass unsere Mandanten in der Sache vollständig obsiegten.

Fazit des Rechtsstreits

Ein Unternehmenskennzeichen setzt sich gegen Marken durch, wenn es bereits benutzt wurde als die Marke angemeldet wurde. Für den Nachweis, dass ein Unternehmenskennzeichen besteht, müssen Belege vorgelegt werden, die eine durchgängige Nutzung des Unternehmenskennzeichens nahelegen. Um das auch Jahre später noch machen zu können, ist dem Mandanten zu raten, entsprechende Belege aufzubewahren. Das können datierte Screenshots der Webseite sein, aber vor allem Unterlagen, wie z.B. Lieferscheine, (datierte) Werbeflyer, Rechnungen, Briefe, (datierte) Fotos.

Kann man das Bestehen eines Unternehmenskennzeichens nachweisen, stehen dem Inhaber weitgehend ähnliche Rechte zu, wie dem Inhaber einer eingetragenen Marke. Aufgrund der genannten Beweisproblematik wird man im Regelfall trotzdem dazu raten müssen, auch eine Marke anzumelden.

Entscheidungen:

LG Braunschweig, Urteil vom 20.08.2015, Az. 22 O 514/14

OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss vom 28.01.2016, Az. 2 U 102/15

 

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Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 10.05.2016 (Az. L 11 R 4048/15) entschieden, dass eine Entgeltumwandlung zugunsten lohnsteuerfreier oder pauschal besteuerter Leistungen bei der Verbeitragung in der Sozialversicherung zu berücksichtigen ist. Die Gehaltsumwandlung zur „Nettolohnoptimierung“ sei keine rechtsmissbräuchliche vertragliche Gestaltung. Darüber hinaus sei es für die Erfüllung der Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) nicht erforderlich, dass die steuerfreie Leistung vom Arbeitgeber über das ohnehin geschuldete Arbeitsentgelt hinaus erbracht wird.

Tankgutscheine, Restaurantschecks, Kinderbetreuungszuschüsse

In dem dem Urteil des LSG Baden-Württemberg zu Grunde liegenden Fall hatte ein Gärtnereibetrieb mit 12 seiner Arbeitnehmer Entgeltumwandlungsvereinbarungen geschlossen. In den Vereinbarungen war bestimmt, dass sich der Bruttobarlohn bei unveränderter Arbeitszeit reduziert und die Arbeitnehmer dafür steuerfreie oder pauschalbesteuerte Leistungen erhalten. Den Arbeitnehmern standen folgende Leistungen zur Auswahl:

  • Tankgutscheine,
  • Internetzuschüsse,
  • Restaurantschecks,
  • Erholungsbeihilfen,
  • Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Betreuung von Kindern des Arbeitnehmers in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen,
  • Aufwendungsersatz für die Reinigung von Berufskleidung und
  • Personalgutscheine

Brutto Netto Bezge - Lohnabrechnung

Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg ging von Lohnverwendungsabrede aus

Der Arbeitgeber führte für die oben genannten Leistungen keine Sozialversicherungsbeiträge ab. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger, die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, den Arbeitgeber auf, die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg war der Auffassung, das Zusätzlichkeitserfordernis des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. In der Gehaltsumwandlungsvereinbarung sei vielmehr eine Lohnverwendungsabrede zu sehen. Der Arbeitslohn fließe den Arbeitnehmern daher in unveränderter Höhe zu und sei vollständig beitragspflichtig in der Sozialversicherung.

Hiergegen legte der Arbeitgeber Widerspruch ein und erhob nach Zurückweisung des Widerspruchs Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen. Das Sozialgericht Reutlingen gab mit Urteil vom 19.08.2015 (Az. S 3 R 2078/14) der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg in der Frage der Beitragspflicht in der Sozialversicherung Recht. Hiergegen wendete sich der Arbeitgeber in seiner Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg.

Keine rechtsmissbräuchliche Gestaltung

Das LSG Baden-Württemberg ist der Auffassung, bei den Entgeltumwandlungsvereinbarungen handele es sich nicht um bloße Lohnverwendungsabreden, sondern um wirksame Änderungen der Arbeitsverträge – nämlich bezüglich der Höhe des Barlohnanspruchs. Der Wirksamkeit der Gehaltsumwandlungsvereinbarungen stehe nicht entgegen, dass die Änderung der Arbeitsverträge ausdrücklich mit dem Ziel vorgenommen wurde, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Hierin liege keine rechtsmissbräuchliche vertragliche Gestaltung. Die Ausnutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in gesetzlich zulässigen Rahmen könne nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass die Auswirkungen, wie etwa die verminderten Rentenansprüche der Arbeitnehmer, für gesellschaftspolitisch bedenklich gehalten werden.

Zusätzlichkeitserfordernis erfüllt

Darüber hinaus sei das Zusätzlichkeitserfordernis gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV erfüllt. Diesbezüglich verweist das LSG Baden-Württemberg auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.08.1997 (Az. B 12 RK 44/96), wonach es nicht erforderlich ist, dass die zusätzliche Leistung vom Arbeitgeber für den in der Vorschrift bezeichneten Zweck über das ohnehin geschuldete Arbeitsentgelt geleistet wird. Zudem ist es gemäß Urteil des BSG vom 14.07.2004 (Az. B 12 KR 10/02 R) unerheblich, ob die Leistung im Vergleich zum bisherigen Entlohnungsgefüge vom Arbeitgeber zusätzlich aufgebracht wird oder ob sie bei gleichbleibendem Gesamtvergütungsniveau aus einer für die Zukunft vereinbarten Entgeltumwandlung des bisher gezahlten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts stammt. Im konkreten Fall hielt das LSG Baden-Württemberg allerdings sowohl den Zuschuss zur Kinderbetreuung als auch den Aufwendungsersatz für die Reinigung der Berufskleidung für beitragspflichtig, weil die von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV vorausgesetzte Steuerfreiheit nicht gegeben war.

Tankgutscheine bis 44 Euro sozialversicherungsfrei Tankkarte

Nicht beitragspflichtig hingegen sind nach zutreffender Ansicht des LSG Baden-Württemberg die vom Arbeitgeber gewährten Tankgutscheine. Tankgutscheine sind nicht in Geld bestehende Sachbezüge gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG. Sachbezüge sind nach § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG steuerfrei, wenn sie insgesamt 44 Euro im Monat nicht übersteigen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 SvEV gilt § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG entsprechend für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Da im vorliegenden Fall der Wert der Tankgutscheine (einschließlich etwaiger weiterer Sachbezüge) 44 Euro monatlich nicht überstieg, hat das LSG Baden-Württemberg eine Beitragspflicht verneint.

Auswirkung einer Entgeltumwandlung auf Leistungen der Sozialversicherung

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg stellt in seinem Urteil vom 10.05.2016 überzeugend klar, dass eine Nettolohnoptimierung nicht nur bei Erhöhung des gesamten Gehaltsniveaus möglich ist, sondern auch durch eine Gehaltsumwandlung erreicht werden kann. Allerdings ist bei der Umwandlung von sozialversicherungspflichtigem Gehalt zugunsten sozialversicherungsfreier Leistungen zu beachten, dass sich hierdurch die Sozialversicherungsleistungen vermindern (insbesondere Renten der Deutschen Rentenversicherung, Kranken- und Arbeitslosengeld). Darüber hinaus kann die Umwandlung von sozialversicherungspflichtigem Entgelt zugunsten sozialversicherungsfreier Leistungen auch Auswirkungen auf die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung haben.

Genaue Prüfung bei Einrichtung

Bei der Einrichtung von Nettolohnoptimierungsmodellen ist große Sorgfalt geboten. Bezeichnend ist diesbezüglich, dass das LSG Baden-Württemberg trotz Annahme der grundsätzlichen Zulässigkeit im konkreten Fall lediglich bei drei der sieben zur Auswahl stehenden Leistungen eine Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung angenommen hat. Bei den Leistungen Internetzuschuss, Kinderbetreuungszuschuss, Aufwendungsersatz für die Reinigung von Berufskleidung und Personalgutscheine lagen hingegen die Voraussetzungen für die Sozialversicherungsfreiheit mangels Steuerfreiheit bzw. Zulässigkeit einer Pauschalbesteuerung nicht vor.

Gehaltsumwandlungsvereinbarung unterliegt AGB-Kontrolle

Darüber hinaus sind auch arbeitsrechtliche Aspekte bei der Nettolohnoptimierung zu beachten. So unterliegen etwa die Vereinbarungen zur Gehaltsumwandlung in der Regel einer AGB-Kontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB. Eine AGB-Kontrolle findet auch auf die Bestimmungen in einer Gesamtzusage statt, welche die Rahmenbedingungen für die Entgeltumwandlung regelt. Keine AGB-Kontrolle findet hingegen bei einer Betriebsvereinbarung zur Entgeltumwandlung statt (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Was wir für Sie tun können

Wenn Sie ein Nettolohnoptimierungsmodell einführen wollen, unterstützen wir Sie gerne bei der rechtssicheren Gestaltung einer Gesamtzusage/Betriebsvereinbarung sowie des Formulars für die abzuschließenden Entgeltumwandlungsvereinbarungen. Darüber hinaus sind wir selbstverständlich für sämtliche Fragen zur betrieblichen Altersversorgung für Sie da. Rufen Sie uns einfach an oder schreiben Sie uns eine E-Mail.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg/Lüneburg