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Schwerbehinderte Arbeitnehmer:innen* genießen nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten besonderen Kündigungsschutz. Zwar sind sie nicht unkündbar. Arbeitgeber haben jedoch bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen mit schwerbehinderten Arbeitnehmern einige Besonderheiten zu beachten. In diesem Beitrag soll ein Überblick darüber gegeben werden, was bei der Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern zu beachten ist bzw. in welchen Fällen die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers unwirksam oder nichtig ist. Darüber hinaus wird in diesem Beitrag erläutert, was der schwerbehinderte Arbeitnehmer tun kann bzw. muss, wenn er sich gegen eine Kündigung wehren möchte.

Schwerbehinderteneigenschaft

Gemäß § 168 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen dann schwerbehindert, wenn bei Ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz in Deutschland haben. Der Grad der Behinderung wird gemäß § 152 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen durch das zuständige Versorgungsamt festgestellt.

Der Sonderkündigungsschutz kann jedoch auch Anwendung finden, wenn ein Anerkennungsbescheid des Versorgungsamtes nicht vorliegt – nämlich dann, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig ist. Das ist der Fall, wenn für den Arbeitgeber ohne weiteres erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist. Darüber hinaus haben Arbeitnehmer den besonderen Kündigungsschutz, wenn sie rechtzeitig einen (vollständigen) Antrag auf Anerkennung ihrer Schwerbehinderung bei beim Versorgungsamt gestellt haben und der Antrag noch nicht beschieden wurde. Rechtzeitig ist der Antrag, wenn bei Zugang der Kündigung die dem Versorgungsamt für die Feststellung vom Gesetzgeber auferlegte Frist abgelaufen ist. Die vom Versorgungsamt zu beachtende Frist beträgt drei Wochen bzw. sieben Wochen, wenn für die Feststellung der Schwerbehinderung ein medizinisches Gutachten erforderlich ist (§ 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB IX, § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

Gleichgestellte

Der besondere Kündigungsschutz gemäß § 168 SGB IX gilt auch für gleichgestellte behinderte Menschen. Eine Gleichstellung kann ein Arbeitnehmer erhalten, wenn sein GdB bei 30 oder 40 liegt und er infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne von 156 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten kann. Der Antrag auf Gleichstellung ist bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu stellen. Der Sonderkündigungsschutz findet Anwendung, wenn bei Kündigungszugang bereits ein positiver Bescheid der Agentur für Arbeit vorliegt. Der Sonderkündigungsschutz findet auch dann Anwendung, wenn bei Zugang der Kündigung kein positiver Bescheid der Agentur für Arbeit vorliegt, der Arbeitnehmer aber mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit gestellt hat und über den Antrag noch nicht entschieden wurde.

Übersicht zu Fällen, in den Sonderkündigungsschutz besteht

Zusammenfassend sind nachstehend alle Fallkonstellationen aufgeführt, in denen der besondere Kündigungsschutz besteht.

  • Die Schwerbehinderung ist im Zeitpunkt der Kündigung offensichtlich.
  • Zum Zeitpunkt der Kündigung liegt ein Feststellungsbescheid über die Schwerbehinderung des Versorgungsamtes vor (GdB 50).
  • Der Arbeitnehmer hat sieben Wochen vor Kündigungszugang einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt. Über den Antrag wurde jedoch noch nicht entschieden.
  • Der Arbeitnehmer hat drei Wochen vor Kündigungszugang einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt. Für die Bescheidung des Antrags ist ein Sachverständigengutachten nicht erforderlich. Über den Antrag wurde noch nicht entschieden.
  • Es liegt im Zeitpunkt der Kündigung ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit vor.
  • Der Arbeitnehmer hat einen GdB von 30 oder 40, er hat drei Wochen vor Kündigungszugang bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung gestellt, über den Antrag wurde jedoch noch nicht entschieden.

Ausnahmen von der Zustimmungsbedürftigkeit

Keiner Zustimmung des Integrationsamtes bedarf es in folgenden Fällen:

  • Das Arbeitsverhältnis besteht bei Zugang der Kündigungserklärung noch nicht länger als sechs Monate (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
  • Der Arbeitnehmer hat sein 58. Lebensjahr bereits vollendet. Er hat einen Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung aufgrund eines Sozialplans und der Arbeitgeber hat ihm die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt. Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprochen (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a Satz 2 SGB IX).
  • Die Kündigung wurde aus Witterungsgründen vorgenommen und die Wiedereinstellung des Schwerbehinderten bei Wiederaufnahme der Arbeit ist gewährleistet (§ 173 Abs. 2 SGB IX).

Interessenabwägung durch das Integrationsamt

Nach Erhalt eines Antrags auf Erteilung der Zustimmung zur Kündigung prüft das Integrationsamt nicht vollumfänglich, ob die beabsichtigte Kündigung sozial gerechtfertigt ist bzw. ein wichtiger Grund vorliegt. Diese Entscheidung bleibt vielmehr den Arbeitsgerichten vorbehalten. Das Integrationsamt nimmt lediglich eine Interessenabwägung vor. Es wägt ab zwischen dem Interesse des Arbeitgebers, den Betrieb nach primär wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, und dem Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu erhalten.

Frist zum Ausspruch der Kündigung nach Zustimmungserteilung

Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung, kann der Arbeitgeber gemäß § 171 Abs. 3 SGB IX das Arbeitsverhältnis nur innerhalb eines Monats kündigen. Die Frist für die ordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beträgt gemäß §169 SGB IX mindestens vier Wochen – unabhängig davon, ob ein anwendbarer Tarifvertrag eine kürzere Kündigungsfrist vorsieht.

Einen Antrag auf Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung kann der Arbeitgeber gemäß § 174 Abs. 2 SGB IX nur innerhalb von zwei Wochen stellen, nachdem er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Für die Kenntniserlangung gelten die Grundsätze des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB. Das Integrationsamt hat die Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt wird, innerhalb von zwei Wochen zu treffen, andernfalls gilt die Zustimmung als erteilt (Zustimmungsfiktion). Die Einhaltung der Frist ist allein vom Integrationsamt bzw. im Falle der Anfechtung der Entscheidung von den Verwaltungsgerichten zu prüfen (BAG, Urteil vom 11.06.2020 – 2 AZR 442/19; BAG, Urteil vom 22.07.20212 AZR 193/21).

Die Arbeitsgerichte haben jedoch zu prüfen, ob § 174 Abs. 5 SGB IX eingehalten wurde. Gemäß § 174 Abs. 5 SGB IX kann die Kündigung auch noch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen werden, sofern die Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. „Unverzüglich“ bedeutet gemäß der hier anzuwendenden Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Mit Urteil vom 13.02.2014 hat das LAG Rheinland-Pfalz entschieden, dass die Zustellung der außerordentlichen Kündigung sechs Kalendertage bzw. vier Arbeitstage nach Eingang des Bescheids des Integrationsamt beim Arbeitgeber nicht mehr unverzüglich ist (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.02.2014 – 5 SA 262/13).

Welche Folgen hat es, wenn ohne Zustimmung des Integrationsamts gekündigt wurde?

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Menschen oder einem solchen nach § 2 Abs. 3 SGB IX Gleichgestellten ohne die nach § 168 IX SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamts ist gemäß § 134 BGB nichtig. Hierauf kann sich der Arbeitnehmer jedoch gemäß § 242 BGB dann nicht berufen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis von der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung des Arbeitnehmers bzw. einer entsprechenden Beantragung hatte, keine offensichtliche Schwerbehinderung vorlag und der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine festgestellte oder zumindest beantragte Schwerbehinderteneigenschaft bzw. seine schon erfolgte oder beantragte Gleichstellung nicht innerhalb von drei Wochen ab Kündigungszugang mitgeteilt hat.

Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Sofern es im Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung gibt oder möglicherweise eine Schwerbehindertenvertretung eines anderen Betriebs des Unternehmens ersatzweise zuständig ist, ist zu beachten, dass die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor Ausspruch der Kündigung anzuhören ist. Die Anhörung hat gleichzeitig mit oder vor der Betriebsratsanhörung zu erfolgen.

Was muss der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei Erhalt einer Kündigung beachten

  • Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz gemäß § 168 SGB IX wird vom Integrationsamt die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung bekannt gegeben. Hierdurch erhält der Arbeitnehmer die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen. Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat ab Bekanntgabe. Sofern der Widerspruch durch den Widerspruchsausschuss des Integrationsamtes zurückgewiesen wird, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht zu erheben.
  • Hat der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in Unkenntnis von dessen Schwerbehinderung gekündigt, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, den Arbeitgeber innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung über seine Schwerbehinderteneigenschaft, eine Gleichstellung oder ein eingeleitetes Antragsverfahren in Kenntnis zu setzen. Tut er es nicht, oder nicht rechtzeitig, ist der besondere Kündigungsschutz wegen Zeitablaufs grundsätzlich verwirkt.
  • Schwerbehinderte Arbeitnehmer, die sich gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wehren möchten, müssen gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Sofern dem Arbeitnehmer erst nach Zustellung der Kündigung der Bescheid des Integrationsamts bekannt gegeben wird, beginnt die Dreiwochenfrist erst mit Bekanntgabe der Entscheidung des Integrationsamts zu laufen (§ 4 Satz 4 KSchG).

Beratung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Haben Sie Fragen zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers oder eines Gleichgestellten? Dann melden Sie sich gerne telefonisch (040 371577) oder per E-Mail. Wir beraten und vertreten im Bereich Kündigungsschutzrecht sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.

* Selbstverständlich gelten die Ausführungen in diesem Beitrag in gleicher Weise für Arbeitnehmerinnen, auch wenn im Folgenden der Begriff Arbeitnehmer verwendet wird. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf geschlechtsspezifische Doppelnennungen verzichtet.

Jan Zülch, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg, Lüneburg

Mit Urteil vom 07.11.2012 hat das Arbeitsgericht Mönchengladbach die Kündigungsschutzklage eines seit dem Jahr 1987 als Arbeiter im Bereich Straßenmanagement der Stadt Mönchengladbach beschäftigten Mitarbeiters als unbegründet abgewiesen. Der klagende Arbeitnehmer hatte während der Durchführung von Bodenbelagsarbeiten seinen unmittelbaren Vorgesetzten mit folgenden Worten bedroht: „Ich hau Dir vor die Fresse, ich nehme es in Kauf nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal“. Weiterlesen

Die Äußerung „Klei mi ann Mors“ gegenüber seiner Vorgesetzten führte bei einem 42-jährigen Sachbearbeiter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen wandte sich der seit knapp 10 Jahren bei dem Unternehmen beschäftigte Mitarbeiter und erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Die Hamburger Richter gaben dem Kläger recht und erklärten die Kündigung für unwirksam.

Äußerung gegenüber Vorgesetzten: „Klei mi ann Mors“

In einem Gespräch zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten über die Gewährung von Urlaub kam es zu einer Meinungsverschiedenheit. Die Atmosphäre und der Tonfall verschärften sich. Der Kläger sagte schließlich zu seiner Vorgesetzten „Klei mi ann Mors“. Dies sah die beklagte Arbeitgeberin als eine grobe Beleidigung und kündigte dem Kläger fristlos. Sie meinte, dass es sich um das Götz-Zitat („Leck mich am Arsch“) handele. Dass der Kläger dies auf Plattdeutsch gesagt habe, mildere die Beleidigung nicht. Entscheidend sei, dass er in beleidigender Weise zum Ausdruck gebracht habe, dass ihm die Arbeit, die Kollegen und insbesondere die Vorgesetzte nicht interessieren und ihm mehr als nur egal seien.

Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg eingereicht

In seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg verwies der Kläger dagegen darauf, dass die Beklagte hätte abmahnen können. Er räumte zwar ein, dass er sich nicht korrekt verhalten habe, machte aber geltend, dass er sich entschuldigt habe und es in der Vergangenheit keinerlei Vorkommnisse gegeben hätte, die nahe legen würden, dass er sich diese Abmahnung nicht zu Herzen genommen hätte. Sein Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiege.

Arbeitsgericht Hamburg: Kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB

In seinem Urteil vom 12.05.2009 (21 Ca 490/08) schloss sich das Arbeitgericht Hamburg der Auffassung des Klägers grundsätzlich an. Die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gegeben sei. Der Kläger habe sich gegenüber seiner Vorgesetzten zwar nicht richtig verhalten, indem er ihr gegenüber erklärte: „Klei mi ann Mors“. Dies sei plattdeutsch und bedeute auf Hochdeutsch: „Kratz mich am Hintern“. Die Beklagte irre folglich, wenn sie meint, dass „Klei mi ann Mors“ mit: Leck mich am Arsch zu übersetzen sei. Gleichwohl ist die Äußerung des Klägers ungehörig, denn sie sei unhöflich. Ein solcher Ton verbiete sich gegenüber einer Vorgesetzten, zumal wenn es sich um eine Frau handelt. Dass das Gewicht dieser Unhöflichkeit jedoch einer schweren Vertragsverletzung gleichkommen würde, die „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darzustellen, erscheine ausgesprochen zweifelhaft. Rechtlich maßgebend sei nicht die subjektive Bewertung der Vorgesetzten, es finde vielmehr eine verobjektivierte Betrachtung statt.

Jedenfalls wäre Abmahnung erforderlich gewesen

Aber selbst wenn ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB angenommen werde könnte, würde für die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung erforderlich sein, so die Arbeitrichter aus der Hansestadt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist grundsätzlich ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens fristlos oder fristgemäß gekündigt werden soll, zunächst abzumahnen Dieses Erfordernis leitet sich aus dem dem Kündigungsschutzrecht inne wohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzip her. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liege nicht vor, so das Arbeitsgericht Hamburg.

Keine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats

Darüber hinaus war die Kündigung rechtsunwirksam, weil der Betriebsrat nicht korrekt gemäß § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung unterrichtet worden sei. Denn zu einer ordnungsgemäßen Unterrichtung gehöre, dass die Person des Arbeitnehmers mit den grundlegenden sozialen Daten bezeichnet werde. Dazu zählten das Alter, der Familienstand, die Kinderzahl, sonstige Unterhaltspflichten, die Beschäftigungsdauer sowie ggf. die Umstände, die geeignet sind, einen besonderen Kündigungsschutz zu begründen. Das Arbeitsgericht ist der Meinung, dem sei die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen, weil sie dem Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat nicht mitteilte, dass der Kläger einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist. Dies sei aber eine für die Interessenabwägung wichtige Information, die nicht hätte unterbleiben dürfen.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg / Lüneburg

Erhält ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Kündigung, gehen dem Betroffenen meistens zahlreiche Gedanken durch den Kopf. Kann ich in Zukunft die Miete noch zahlen? Finde ich einen neuen Job? Kann mir ein Rechtsanwalt helfen, meinen Arbeitplatz zu erhalten oder zumindest eine ordentliche Abfindung aushandeln?

Die folgenden Ausführungen sollen einerseits helfen, einen Überblick zur arbeitgeberseitigen Kündigung zu erhalten; andererseits sollen sie vermeiden, dass folgenschwere Fehler begangen werden.

Wirksamkeit der Kündigung

Grundsätzlich ist es dem Arbeitgeber erlaubt, unter Beachtung der vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen Arbeits- verträge zu kündigen. Findet allerdings das Kündigungsschutz- gesetz (KSchG) Anwendung, ist die Kündigung rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 KSchG). Bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung ist bei jeder Kündigung eine Einzelfallbetrachtung und Interessenabwägung vorzunehmen, wobei Alter, Unterhaltspflichten und die Dauer der Betriebszugehörigkeit eine wichtige Rolle spielen. Wegen fehlender sozialer Rechtsfertigung unwirksam ist z.B. eine krankheitsbedingte Kündigung bei der nicht feststeht, dass auch zukünftig mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen ist oder eine betriebsbedingte Kündigung, bei der die Sozialauswahl fehlerhaft erfolgt ist.

Wer fällt unter das Kündigungsschutzgesetz?

Das Kündigungsschutzgesetz ist grundsätzlich nur dann anzuwenden, wenn der Betrieb, in dem der betroffene Arbeitnehmer tätig ist, eine bestimmte Zahl an Arbeitnehmern beschäftigt. Hierbei ist zu differenzieren: Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 01.01.2004 begonnen hat, fallen unter das Kündigungsschutzgesetz, sofern bei Zugang der Kündigung in dem Betrieb regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer (einschließlich des Betroffenen) tätig sind, die bereits im Jahr 2003 in dem Betrieb beschäftigt waren. Auszubildende zählen nicht mit. Teilzeitbeschäftigte werden anteilig berücksichtigt (bei bis zu 20 Stunden / Woche mit 0,5 und bei bis zu 30 Stunden / Woche mit 0,75). Sind die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllt oder ist der gekündigte Arbeitnehmer erst nach dem 31.12.2003 eingetreten, ist es für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes erforderlich, dass einschließlich des Betroffenen mehr als zehn Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung regelmäßig beschäftigt sind.

Darüber hinaus ist eine Prüfung der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1 KSchG nur durchzuführen, wenn der betroffene Arbeitnehmer länger als sechs Monate beschäftigt war (sog. Wartezeit).

Weitere mögliche Gründe für die Unwirksamkeit einer Kündigung

Neben der Unwirksamkeit der Kündigung wegen mangelnder sozialer Rechtfertigung gibt es noch zahlreiche weitere Gründe, weshalb eine Kündigung unwirksam sein kann. So z.B., wenn die Kündigung dem Arbeitnehmer nicht rechtzeitig zugegangen ist, ein etwaig vorhandener Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde oder ein zur Kündigung bevollmächtigter Vertreter des Arbeitgebers nicht die schriftliche Vollmacht im Original vorlegt und der Arbeitnehmer aus diesem Grund die Kündigung unverzüglich zurückweist. Darüber hinaus kann eine Kündigung auch unwirksam sein, weil einem gesetzlich gegen Kündigung besonders geschützten Arbeitnehmer gekündigt wurde, ohne dass die dafür bestehenden besonderen Voraussetzungen vorlagen (z.B. Schwangere, Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder).

Wichtig: Einhaltung der 3-wöchigen Klagefrist

Die wichtigste Vorschrift im Kündigungsschutzgesetz ist dessen § 4. Hiernach muss der Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen will, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage einreichen. Andernfalls gilt gemäß § 7 KSchG die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam.

Wo muss die Kündigungsschutzklage eingereicht werden?

Die Klage ist vor dem zuständigen Arbeitsgericht einzureichen. Der allgemeine Gerichtsstand richtet sich nach dem Sitz des Arbeitgebers – bei natürlichen Personen nach dessen Wohnsitz, bei juristischen Personen nach dem Sitz der Gesellschaft. Darüber hinaus sind besondere Gerichtsstände zu beachten.

Seit dem 01.04.2008 gibt es den neuen besonderen Gerichtsstand des Arbeitsortes. Hiernach kann der Arbeitnehmer auch vor dem Arbeitsgericht klagen, in dessen Bezirk er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Hat der Arbeitgeber z.B. seinen Sitz in Hamburg, der Arbeitnehmer wurde jedoch in der Zweigstelle in Lüneburg eingesetzt, kann sich der Arbeitnehmer aussuchen, ob er vor dem Arbeitsgericht Hamburg oder dem Arbeitsgericht Lüneburg klagen möchte.

Sonderfall außerordentliche Kündigung

Eine außerordentliche Kündigung ist gemäß § 626 BGB wirksam, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigung nicht mehr zugemutet werden kann. Wie bei der ordentlichen Kündigung kann die Rechtswirksamkeit gerichtlich nur überprüft werden, wenn die 3-wöchige Klagefrist gewahrt wurde. Neben der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist häufig zu prüfen, ob die Kündigung innerhalb von 2 Wochen seit Kenntnis des Kündigungssachverhalts erfolgt ist. Falls nicht, ist die Kündigung nämlich gemäß § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

Muss der Arbeitnehmer zwingend bei dem Unternehmen weiterarbeiten oder kann er auch eine Abfindung verlangen?

Grundsätzlich lautet die Klage des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Das heißt, dass der Arbeitnehmer im Erfolgsfall an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Gemäß § 9 KSchG kann das Arbeitsgericht den Arbeitgeber jedoch nach entspre- chendem Antrag zur Zahlung einer angemessenen Abfindung verurteilen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Darüber hinaus wird von den Parteien häufig auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich zu schließen. In der Regel wird in diesem Vergleich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Termin und die Zahlung einer Abfindung an den Arbeitnehmer festgelegt. Oft wird in diesem Vergleich auch geregelt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein „wohlwollendes“ Zeugnis ausstellt.

Empfehlung zur Vorgehensweise bei Erhalt einer Kündigung

Stecken Sie nicht den Kopf in den Sand. Selbst wenn Sie mit Ihrem Arbeitgeber nichts mehr zu tun haben wollen, sollten Sie unbedingt prüfen lassen, ob die Kündigung aufgrund formeller oder materieller Mängel unwirksam ist. Hierbei unterstützen wir Sie gerne. Keinesfalls sollten Sie die Kündigung „erst mal liegen lassen“. Ist nämlich die 3-wöchige Klagefrist verstrichen, haben Sie keine Möglichkeit mehr, an Ihren Arbeitsplatz zurückzukehren oder zumindest eine Abfindung zu erhalten.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg / Lüneburg

Ein Arbeitnehmer, der eine Person, die in einer Kundenbeziehung zum Arbeitgeber steht, als Arschloch bezeichnet, schafft einen Sachverhalt, der eine fristlose Kündigung begründen kann. Bei der Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ist jedoch zu beachten, ob der Arbeitnehmer überhaupt die Funktion und Stellung der Person, die er beleidigte, erkannte und ob es sich um ein einmaliges Versagen handelte. Im Einzelfall kann deshalb zunächst der Ausspruch einer Abmahnung als Reaktion auf die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in Betracht kommen.

Das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 08.04.2010, Sa 474/09) entschied zugunsten des Arbeitnehmers bei einer Beleidigung eines Kundenmitarbeiters durch den Arbeitnehmer als „Arschloch“.

Kunde „Arschloch“ genannt – fristlose Kündigung

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer fristlosen verhaltensbedingten Kündigung. Der Kläger ist als Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Logistikzentrum. Bei der Belieferung eines Kunden wurde dem Kläger von einer ihm unbekannten Person die Zufahrt auf das Parkdeck verwehrt. Diese Person war ein Mitarbeiter des Kunden. Als dieser Mitarbeiter den Kläger an der Weiterfahrt hindern wollte, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung in deren Verlauf der Kläger den Mitarbeiter mehrfach als „Du Arsch“ oder „Arschloch“ bezeichnete und entgegen der Anordnung des Mitarbeiters seine Fahrt auf das Parkdeck fortsetzte. Eine Woche nach dem Vorfall kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos. Sie meint, dass diese mehrfache und zügellose Beleidigung einen wichtigen Kündigungsgrund darstelle, da die Beleidigungen schwerwiegend seien und die Kundenbeziehung dadurch in Gefahr geriete. Der Arbeitnehmer reichte Kündigungsschutzklage ein.

Voraussetzungen für fristlose Kündigung nach § 626 BGB nicht erfüllt

Das Arbeitsgericht Neumünster (Urteil vom 28.10.2009, 1 Ca 511b/09) hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten vor dem LAG Schleswig-Holstein blieb erfolglos. Das LAG sieht die Vorgaben des § 626 Abs. 1 BGB und damit die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung als nicht erfüllt an.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der § 626 Abs. 1 BGB kennt dabei aber keinen absoluten Kündigungsgrund. Jede außerordentliche Kündigung setzt eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall voraus. Danach kann es angezeigt sein, den Arbeitnehmer zunächst abzumahnen. Diese Notwendigkeit folge aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- und Verhaltensbereich muss grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden können. Allerdings bedürfen besonders schwere Verstöße keiner vorherigen Abmahnung, weil dabei der Arbeitnehmer von vorne herein nicht mit der Billigung seines Verhaltens rechnen kann oder er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.

Je nach Umständen des Einzelfalls kann Abmahnung ausreichend sein

Hier entschied das LAG Schleswig-Holstein, dass nicht pauschal auf die Beleidigung abgestellt werden darf. Drohe der Verlust des Arbeitsplatzes müssen alle Umstände herangezogen werden, die zu der Pflichtwidrigkeit geführt haben. Das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit sei ebenso zu berücksichtigen, wie die Prognose für die Zukunft. Einmaliges und erstmaliges Verhalten könne mit einer Abmahnung ausreichend geahndet werden und sei nicht geeignet, ein Arbeitsverhältnis so nachhaltig zu stören, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt wäre.

Kathrin Schütze, Rechtsreferendarin am OLG Schleswig,

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg / Lüneburg