§ 16 Abs. 3 Satz 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) verbietet in Elternzeit befindlichen Müttern, die ein weiteres Kind erwarten, ihre Elternzeit vorzeitig zu beenden, um Mutterschaftsgeld in Anspruch zu nehmen. Diese Vorschrift stellt jedoch einen Verstoß gegen Richtlinien der Europäischen Union dar und ist daher nicht anzuwenden.

Grundsätzliches Zustimmungsbedürfnis bei vorzeitiger Beendigung der Elternzeit

Grundsätzlich ist die Erklärung der Arbeitnehmerin, für welche Zeiten innerhalb der ersten beiden Jahre Elternzeit genommen werden soll, verbindlich (vgl. hier auch den Artikel „Verlängerung der Elternzeit – Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich?“). Will die Arbeitnehmerin die Elternzeit verkürzen oder verlängern, ist sie auf die Zustimmung ihres Arbeitgebers angewiesen. Für die vorzeitige Beendigung der Elternzeit hat der Gesetzgeber in § 16 Abs. 3, Sätze 2 und 3 BEEG besondere Regelungen vorgesehen. In Satz 2 der oben genannten Vorschrift ist bestimmt, dass der Arbeitgeber den Antrag auf Verkürzung der Elternzeit nur bei Vorliegen dringender betrieblicher Gründe ablehnen kann, sofern ein besonderer Härtefall vorliegt oder die vorzeitige Beendigung wegen der Geburt eines weiteren Kindes begehrt wird. Gemäß § 16 Abs. 3  Satz 3 BEEG darf die  Arbeitnehmerin ihre Elternzeit jedoch nicht „wegen der Mutterschutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes vorzeitig beenden“. Eine Ausnahme hierzu gilt für Mütter die während ihrer Elternzeit in zulässigem Umfang in Teilzeittätigkeit gemäß § 15 Abs. 4 BEEG sind.

Exkurs: Mutterschaftsgeld

In den §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) sind die vorgeburtlichen (6 Wochen) und nachgeburtlichen (grundsätzlich 8 Wochen) Mutterschutzfristen bestimmt. Während der Schutzfristen sowie am Tag der Geburt erhält die Arbeitnehmerin gemäß § 13 Abs. 1 MuSchG i.V.m. § 200 Reichsversicherungsordnung (RVO) Mutterschaftsgeld. Das Mutterschutzgeld beträgt allerdings maximal 13,- Euro pro Tag. Die Differenz zwischen diesem Betrag und dem bisherigen Nettoeinkommen der Arbeitnehmerin wird durch den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 MuSchG gedeckt. Den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld trägt der Arbeitgeber. Er kann ihn sich jedoch vollständig von den Krankenkassen erstatten lassen.

EuGH: Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Mutterschaftsurlaub

In seinem Urteil vom 20.09.2007 – C-116/06 (Sari Kiiski / Tampereen kaupunki) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass nationale Bestimmungen, die eine Frau daran hindern, ihre Ansprüche auf Mutterschaftsurlaub sowie ihre damit verbundenen Rechte geltend zu machen, gegen Europäisches Recht verstoßen. Das oberste Europäische Gericht hatte sich mit der Vorlage eines erstinstanzlichen Gerichts aus Finnland auseinander zu setzen. Dem Fall lag der Antrag einer finnischen Gymnasiallehrerin zugrunde, die aufgrund einer erneuten Schwangerschaft ihren Erziehungsurlaub vorzeitig beenden wollte. Dies ist nach dem finnischen Arbeitsvertragsgesetz jedoch nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes möglich. Gemäß der entsprechenden tariflichen Regelung gilt eine erneute Schwangerschaft jedoch nicht als triftiger Grund.

Gemäß dem oben genannten Urteil des EuGH stehen diesen finnischen Vorschriften europäische Bestimmungen entgegen, nämlich Art. 2 der Richtlinie 76/207/EWG, der hinsichtlich der Arbeitsbedingungen jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts verbietet, und die Art. 8 und 11 der Richtlinie 92/85/EWG, die den Mutterschaftsurlaub betreffen. Es sei nicht mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar, wenn die schwangere Frau den Zeitraum des Elternurlaubs nicht ändern kann, um den ihr zustehenden Mutterschaftsurlaub und die damit verbundenen Rechte in Anspruch zu nehmen, so der EuGH.

Das oben beschriebene Urteil führt auch zur Unanwendbarkeit des § 16 Abs. 3 Satz 3 BEEG. Auch dieser Vorschrift stehen Art. 2 der Richtlinie 76/207/EWG und Art. 8 und 11 der Richtlinie 92/85/EWG entgegen. Dies ist sowohl von der Rechtsprechung (VG Gießen, Urteil vom 18.03.2010 – 5 K 1084/09) als auch in der Fachliteratur (Pepping in Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, 2. Auflage 2010, § 14 MuSchG, Rn. 30) zwischenzeitlich bestätigt worden.

Empfehlung

Arbeitnehmerinnen, welche sich in Elternzeit befinden und erneut schwanger werden, sollten den Ihnen gesetzlich eingeräumten Gestaltungsspielraum nutzen. Die Bestimmung in § 16 Abs. 3 Satz 3 BEEG müssen sie dabei nicht beachten. Einen Antrag auf Verkürzung der Elternzeit wegen einer erneuten Schwangerschaft kann der Arbeitgeber nur innerhalb von 4 Wochen aus dringenden betrieblichen Gründen schriftlich ablehnen. Lehnt der Arbeitgeber nicht form- und fristgerecht ab oder liegen dringende betriebliche Gründe nicht vor, endet die Elternzeit aufgrund der Gestaltungserklärung der Arbeitnehmerin (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.04.2009 – 9 AZR 391/08).

Wenn Sie Fragen zur Elternzeit haben, rufen Sie uns an oder schreiben uns eine E-Mail. Wir beraten Sie gerne.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg / Lüneburg

Nachtrag:

Der oben stehende Artikel wurde vor Verkündung des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs (17.09.2012) geschrieben. Gemäß dem neu gefassten § 16 Abs. 3 Satz 3 BEEG ist die vorzeitige Beendigung der Elternzeit zur Erlangung einer bezahlten Freistellung während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt  eines weiteren Kindes ausdrücklich zulässig. Der neue Wortlaut von § 16 Abs. 3 Satz 3  BEEG lautet wie folgt:

„Die Elternzeit kann zur Inanspruchnahme der Schutzfristen des § 3 Absatz 2 und des § 6 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers vorzeitig beendet werden; in diesen Fällen soll die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber die Beendigung der Elternzeit rechtzeitig mitteilen.“

 

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