Die verschiedenen Ansprüche der Ehegatten im Falle einer Ehescheidung sind ein sorgfältig aufeinander abgestimmtes System, welches bereits bei kleinen Veränderungen zu Ergebnissen führen kann, die die bezweckte hälftige wirtschaftliche Beteiligung an den Vermögensmassen der Ehegatten verändern.

Eine Veränderung der Beteiligungen entsteht beispielsweise, wenn die Eheleute nach der Trennung den Ausgleich von Zugewinn, also von während der Ehezeit erworbenem Vermögen ausschließen, den Versorgungsausgleich, also in der Ehe erworbene Rentenansprüche aber bestehen lassen. Wird nach der Vereinbarung der Scheidungsantrag zugestellt, steht der Stichtag für den Ausgleich der Versorgungen, § 3 Abs. 1 VersAusglG und für den Zugewinnausgleich fest.

Wenn nun ein Ehegatte eine Anwartschaft hält, bei der statt einer Rentenzahlung auch eine Kapitalzahlung möglich ist und er dieses Kapitalwahlrecht während des anhängigen Scheidungsverfahrens ausübt, fällt diese Anwartschaft grundsätzlich nicht mehr in den Versorgungsausgleich (siehe Anmerkung unten). Das Anrecht ist nicht mehr auf eine Rente gerichtet und damit nicht auszugleichen. Hierzu hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt, dass nur die Anrechte, welche im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung noch dem Versorgungsausgleich unterfallen, zu berücksichtigen sind (Senatsbeschluss vom 18. April 2012 – XII ZB 325/11). Da der Zugewinnausgleich bereits ausgeschlossen war, ist eine Beteiligung über den Zugewinnausgleich ebenfalls nicht möglich.

Zum Umgang mit diesen Konstellationen hat der Bundesgerichtshof bereits einige Entscheidungen getroffen.

Zuletzt hat er am 01.04.2015, XII ZB 701/13 entschieden, dass die Ausübung des Kapitalwahlrechts während des anhängigen Scheidungsverfahrens möglich bleibt und die Anwartschaft bei Verlust der Renteneigenschaft nicht mehr auszugleichen ist.

Berücksichtigung kann dieses Verhalten allerdings bei der Gesamtbewertung des Versorgungsausgleichs finden: der wichtigste Grundsatz des Versorgungsausgleichs ist die Halbteilung, § 1 VersAusglG. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Leistungen beider Ehegatten in der Ehe im Rahmen der ehelichen Rollenverteilung erbracht wurden und gleichwertig sind. Der Ausgleich der Versorgungen dient insoweit der Aufteilung des gemeinsam erwirtschafteten Vorsorgevermögens. Von diesem Grundsatz kann gemäß § 27 VersAusglG ausnahmsweise abgewichen werden, wenn unter Berücksichtigung der Umstände andernfalls eine grobe Unbilligkeit einträte. § 27 VersAusglG hat die Aufgabe eines Gerechtigkeitskorrektivs.

Im Falle der nachträglichen Ausübung des Kapitalwahlrechts bestätigt der BGH diese grobe Unbilligkeit jedenfalls in Höhe der aus dem Versorgungsausgleich genommenen Anwartschaft.

Er folgt der Argumentation der Vorinstanz und führt dazu aus:

  • Die Ausübung des Kapitalwahlrechts stelle eine illoyale Einwirkung auf das Versorgungsvermögen dar;
  • Ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Ehegatten sei hierfür nicht notwendig;
  • Ein Verweis des anderen Ehegatten auf die Ausübungskontrolle des Ehevertrags sei unangemessen;

Diese Feststellungen werden damit begründet, dass das gesetzgeberische Ziel des Versorgungsausgleichs die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute am Altersvorsorgevermögen und die wirtschaftliche Absicherung des Ehegatten, der innerhalb der Ehe keine Vorsorge habe treffen können, sei.

Zwar bleibe es dabei, dass die Ausübung des Kapitalwahlrechts für sich genommen rechtens bleibt. Jedoch ergebe sich die Besonderheit, dass durch die Ausübung des Wahlrechts ein Wechsel des Ausgleichssystems erfolge, der durch den Ausschluss des Zugewinnausgleichs unmöglich geworden sei, dass das Vermögen ausgleichsfrei werde.

Erfolgen also kein Ausgleich und keine Kompensation, verschiebe sich die Verteilungsgerechtigkeit, so dass in diesem Umfang die Grundlage für den Ausgleich in umgekehrter Richtung entfalle.

Unbillig sei hier nicht die Ausübung des Kapitalwahlrechts, sondern die Erwartung, in gleicher Höhe weiterhin an den Anwartschaften des anderen Ehegatten partizipieren zu können.

Sofern jedoch das Kapitalwahlrecht bereits vor dem Stichtag für den Versorgungsausgleich ausgeübt wurde oder gar nicht in der Entscheidungsmöglichkeit des Ehegatten lag (So BGH vom 16.01.2014, XII ZB 455/13), ist eine grobe Unbilligkeit nicht ohne weitere Argumente anzunehmen.

Zusätzliche Argumente könnten sein, dass der Ausgleichsberechtigte bereits ausreichend versorgt ist und dass der Ausgleichsverpflichtete auf den Erhalt der eigenen Anrechte angewiesen ist.

Liegen diese nicht vor oder ist der Zugewinn nicht ausgeschlossen, sondern besteht rechnerisch kein Ausgleichsanspruch, so ist für die Begrenzung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG kein Raum.

 

 

Anmerkung: Die Ausübung des Kapitalwahlrechts hat bei Anwartschaften im Sinne des Betriebsrentengesetzes oder des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes keine Auswirkung, sie sind unabhängig von der Leistungsform auszugleichen.

 

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