In seiner Entscheidung  vom 18.3.2009 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer sog. gegenläufigen betrieblichen Übung geändert. Nach der vorgenannten Entscheidung können durch betriebliche Übung entstandene Ansprüche auf Weihnachtsgeld oder sonstige Gratifikationszahlungen ohne Zustimmung des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht mehr erlöschen.

Betriebliche Übung

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht, wenn der Arbeitgeber bestimmte Verhaltensweisen regelmäßig wiederholt und die Arbeitnehmer daher annehmen dürfen, ihnen solle eine bestimmte Leistung auf Dauer gewährt werden. Bei Gratifikationen wie zum Beispiel Weihnachts- oder Urlaubsgeld gilt die Regel, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung der Leistung zur Verbindlichkeit erstarkt.

Möglichkeit der gegenläufigen betrieblichen Übung nach der alten Rechtsprechung

Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG konnte eine betriebliche Übung durch eine sog. gegenläufige betriebliche Übung beendet werden (Urteil vom 26.3.1997 – 10 AZR 612/96). Bei Gratifikationszahlungen wurde eine gegenläufige betriebliche Übung dann angenommen, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, die Zahlung der Gratifikation sei eine freiwillige Leistung, auf die zukünftig kein Rechtsanspruch bestehe, und der Arbeitnehmer dem über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprochen hat. Auf Grund der dadurch zu Stande gekommenen konkludenten Vereinbarung sei der Arbeitgeber nicht mehr zur Zahlung der Gratifikation verpflichtet. Durch die dreimalige widerspruchslose Annahme einer ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation schaffe der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand. Dieser habe auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers keine Veranlassung, eine ausdrückliche Änderung der vertraglichen Abrede herbeizuführen.

Trotz erheblicher Kritik an dieser Rechtsprechung hat das BAG an der Möglichkeit einer gegenläufigen betrieblichen Übung zunächst festgehalten. Jedoch verschärfte es die Anforderungen. Es verlangte nämlich in seinem Urteil vom 04.05.1999 (Az.: 10 AZR 290/98), dass der Arbeitgeber nicht nur deutlich machen muss, dass er die Gratifikationszahlung künftig unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung zahlen will, sondern darüber hinaus seinen Arbeitnehmern unmissverständlich erklären muss, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht.

Neue Rechtsprechung

In dem eingangs erwähnten Urteil vom 18.3.2009 hat das BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Verschlechterung oder Beseitigung vertraglicher Ansprüche von Arbeitnehmern auf Sonderzahlungen (hier Weihnachtsgeld) durch eine gegenläufige betriebliche Übung nun doch Abstand genommen. Eine dreimalige widerspruchslose Annahme eines vom Arbeitgeber unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Weihnachtsgeldes kann danach nicht mehr den Verlust eines durch betriebliche Übung entstandenen Anspruchs auf die Sonderzahlung bewirken. Als Grund gibt das höchste deutsche Arbeitsgericht an, das Konstrukt der gegenläufigen betrieblichen Übung erfüllte nicht die Voraussetzungen des aufgrund des zum 01.01.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch für Arbeitsverträge anwendbaren § 308 Nr. 5 BGB.

Fiktionswirkung bei Schweigen nur unter den engen Voraussetzungen des § 308 Nr. 5 BGB möglich

Gemäß § 308 Nr. 5 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Bestimmung unwirksam, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders bei Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung als von ihm abgegeben oder nicht abgegeben gilt, es sei denn, dass dem Vertragspartner eine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt ist und der Verwender sich verpflichtet, den Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Die Bestimmung bezweckt, dass der zu den wesentlichen Prinzipien des Privatrechts gehörende Grundsatz, wonach Schweigen keine Willenserklärung ist, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nur in engen Grenzen änderbar ist. Die Vorschrift verbietet den Vertragsparteien zwar nicht, zu vereinbaren, dass das Schweigen einer Partei zu einem Antrag der anderen Partei als Annahmeerklärung anzusehen ist. Die Vorschrift untersagt fingierte Erklärungen jedoch für den Fall, dass die drohende Fiktionswirkung dem Vertragspartner des Klauselverwenders nicht hinreichend bewusst gemacht und ihm keine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt wird.

Soll eine an ein Schweigen geknüpfte Fiktionswirkung eintreten, muss dies nach § 308 Nr. 5 BGB nicht nur von den Vertragsparteien vereinbart worden sein. Nach dieser Vorschrift muss der Klauselverwender sich darüber hinaus verpflichtet haben, seinen Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die Bedeutung seines Schweigens besonders hinzuweisen. Schließlich muss dieser Hinweis auch tatsächlich und in einer Form erfolgen, die unter normalen Umständen Kenntnisnahme verbürgt. Ist der Hinweis ordnungsgemäß erfolgt, tritt die vereinbarte Erklärungsfiktion wiederum dann nicht ein, wenn sich der Klauselverwender nicht entsprechend vertraglich dazu verpflichtet hat.

Daran gemessen reicht die für die nach früherer Rechtsprechung für die Annahme einer gegenläufigen betrieblichen Übung genügende dreimalige widerspruchslose Entgegennahme einer vom Arbeitgeber mit oben beschriebenen Hinweis gezahlten Gratifikation nicht aus, um eine durch betriebliche Übung entstandene Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gratifikationszahlung zu beenden. Es fehlt nämlich bereits an einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass das Schweigen des Arbeitnehmers zu einem Änderungsangebot des Arbeitgebers als Annahme des Angebots gilt. Erforderlich für die Beseitigung eines durch betriebliche Übung entstandenen Anspruchs ist vielmehr eine entsprechende vertragliche Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder aber eine Änderungskündigung. Letztere darf jedoch bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht sozial ungerechtfertigt nach § 1 KSchG sein.

Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg / Lüneburg


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